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Diskriminierung im Magazinregal

Erstaunt darüber, wie Stereotype, Diskriminierung und Gendering in unserer Ach-So-Open-Minded-Gesellschaft vor allem noch in Magazinen bedient werden, nahm ich je ein Frauen- und ein Männermagazin mit nach Hause und dort genau unter die Lupe.


Diskriminierung, die: Das Wort Diskriminierung stammt aus dem Lateinischen. Das Verb discriminare bedeutet „trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“.


Während ich vor dem zwei Meter breiten Zeitschriftenregal im Kiosk meines Vertrauens stehe, wandert mein Blick über die bunt-glänzende Cover-Szenerie. „Kein normales Frauenmagazin“ steht direkt unter dem Namen eines Exemplars. Das ist ja mal ein Versprechen!

Schon länger beobachte ich nämlich die Zeitschriften-Szene und bin erstaunt, wie sehr in einigen Regalen Themen wie Mode, Ernährung (meistens in Form von Diät) und Oberflächlichkeit das Revier dominieren. Auch in Männermagazinen! Und das findet man noch in unserer nach Innovation strebenden Gesellschaft, die weg vom Leistungsgedanken und hin zu mehr Achtsamkeit will, die das Thema Gendering überdenkt und das Individuum als einzelnes betrachten will.

Und ab in die Selbstoptimierungsfalle

Ganz ehrlich – für mich ist eine Diät harte Arbeit. Mein Salat lächelt mich nicht an, wie in der Werbung. Und ich den Salat erst recht nicht. Außer, es ist Käse drin. Und Nüsse. Und Brot mit Butter oder irgendeinem leckeren Aufstrich. Sowieso – an einem selbst zu arbeiten ist eine der schwersten Herausforderungen. Auch ich arbeite an mir selbst. Aber wenn mir jemand ernsthaft weismachen möchte, ich würde endlich etwas für mich selbst tun, wenn ich auf leckeres Essen verzichte, dann rührt sich in meiner Brust ein kleiner Drachen. Der übrigens ziemlich ätzend werden kann.

Ich frage mich, was die aktuellen Magazine eigentlich für eine Intention haben. Gekauft werden, klar. Indem sie die versteckten Wünsche und Sehnsüchte der Menschen aufgreifen und sie damit in die Selbstoptimierungsfalle bugsieren. Pauschalisieren kann man nicht, ich weiß. Aber weiter im Text.

Kinder und Mutter ohne Kotzflecken – geht das?

Farblich sticht das „nicht normale“ Frauenmagazin jedenfalls hervor: mit einem fast einfarbigen violett-rosa Umschlag. Der Name des Magazins könnte außerdem auch der meiner Mutter sein – Barbara. Was ist hier los?

Nach einigem Zögern greife ich schließlich zu und spüre das Gewicht und die Wertigkeit der Seiten in mattem Einband . Auf dem Cover prangt die Herausgeberin, rechts und links auf ihrer Hüfte jeweils ein Vorzeige-Kind. Die Kinder im ungefähren Alter von zwei bis drei Jahren tragen Weiß. Ohne Kotzflecken. So hatte ich mir das Ding mit den Kindern nicht vorgestellt. Unter diesem Aspekt überlege ich mir das Ganze vielleicht nochmal. Die Haare der Vorzeige-Mutti und Magazinherausgeberin sind auch hübsch – nämlich perfekt hochgesteckt. Und sie trägt ein Kleid, bedruckt mit geblümtem Porzellan-Tellern. „Viva la mama“ steht da noch in Großbuchstaben. Also eins hat die Zeitschrift definitiv erreicht: Ein Mann greift tendenziell eher nicht nach diesem Traum in violett-rosa. Damit ist es tatsächlich wohl eher ein Frauenmagazin. Ein Müttermagazin?

Welche sind die Themen, die Frauen wirklich interessieren?

Sind es Abnehmchallenges à la „Frühlingsrezepte zum Schlemmen“, Modetipps mit exemplarischen Designer-Outfit-Kombinationen, die sich kein normaler Mensch leisten kann? Brauchen wir Tipps zum Thema „Sex und Flirten“ und eine Handlungsanweisung, wie es denn endlich klappen könnte, „ihn“ zu überzeugen?

Eine Zeitschrift mit dem Titel „kein normales Frauenmagazin“ behandelt keine anderen Themen, bemerke ich, nachdem ich es aufgeschlagen habe: Gleich links, neben dem Editorial der Herausgeberin befindet sich Modewerbung mit einem Oversize-Model. Auch hier werden stereoptype Frauenthemen bedient, aber aus anderen Perspektiven. Es geht in erster Linie ums Mutter-Sein, um Ernährung, Wohnungseinrichtung, Mode und Beauty und um Reisen. Das war jetzt irgendwie keine Überraschung und in der Wiedergabe vielleicht etwas reduziert, zugegebenermaßen.

Aber: Zu der „anderen Perspektive“ gehören auch Frauen, die schwanger sind und zugeben, sich nicht darüber zu freuen. Mütter, die sich in die Erziehung hineinquatschen lassen oder es sind Beispiel-Antworten auf die Frage, warum man denn keine Kinder bekommen hat. Das Mutter-Kind-Thema scheint also doch der Dreh- und Angelpunkt eines nicht normalen Frauenmagazins zu sein.

Frauenmagazine setzen meine Welt unter Druck

Mich persönlich leitet das zu der Frage: Kann man überhaupt noch zwischen Männer- und Frauenmagazinen unterscheiden, wenn man nicht stereotype Themen bedienen will? Ich persönlich greife äußerst ungern zu Frauenmagazinen, die als solche gekennzeichnet sind. Meistens geben sie mir in irgendeiner Form ein ungutes Gefühl. Sie setzen meine kleine eigene Welt ein wenig unter Druck: Auch dieses Magazin suggeriert mir nämlich bereits mit seiner Themenauswahl, dass Frauen zumindest irgendwann mal das Kinderkriegen interessieren sollte, Rezepte, Mode und Inneneinrichtung.

Vielleicht ist das auch eine individuelle Angelegenheit. Kann ja sein! Eins ist aber sicher und das haben bestimmt viele Frauen und Männer gemeinsam: Wenn man zu einer Zeitschrift greift, dann hat man ausnahmsweise keine Lust auf Leistung und Hamsterrad. Selbstoptimierung ist etwas, was in meine Freizeit nicht hineingehört. Selbstoptimierung ist Arbeit, keine Freizeit. Und wenn ich arbeite, lese ich keine Zeitschriften, die mir die Welt so erklären wollen.

Stattdessen will der Leser doch irgendwie bereichert werden, mit Bildern verführt, in andere Welten gezoomed, der Horizont will erweitert werden, man möchte staunen und lernen. Ich merke, das Magazin mit dem violett-rosa Cover hatte wohl eine andere Zielgruppe im Blick. Oder hätte ich das anhand des Namens selbst bemerken sollen?


Das Männermagazin „GQ“ unter der Lupe: Harte Schale, weicher Kern

Die Auswahl an Männermagazinen ist deutlich kleiner. In diesem Moment bin ich ausnahmsweise mal nicht froh, eine Frau zu sein – wie chillig ist das denn? Ein typisches „Mix-Magazin“ zu finden, das nicht zu stark in eine bestimmte Richtung geht, ist übrigens ganz schön schwer.

Mit nach Hause nehme ich dann das „GQ“, das sich als „Stil-Magazin“ bezeichnet. Die „Farbgestaltung“ des Covers ist männlich: schwarz-weiß und reduziert. Keine Vorschau des Inhalts, nur der bekannte Modeschöpfer Karl Lagerfeld und der Magazinname sind zu sehen. Lagerfeld blickt mit Sonnenbrille und leicht arrogant mit erhobenem Kinn, ohne zu lächeln, direkt in die Kamera.

Trotzige Coolness bei den Männern

Meine Mutter sagte gerne, dass man keine Fotos mit Sonnenbrille vor den Augen machen soll. Das wirke unpersönlich. Aber wer weiß, vielleicht hat die Mutter derer, die das Cover ausgesucht haben, etwas ähnliches gesagt. Ein bisschen niedlich fände ich das, wenn ich es nicht besser wüsste. Denn es geht in die Richtung trotziger Coolness und ist damit natürlich auch wieder ein bisschen stereotyp-männlich. Ich weiß es aber besser, denn Lagerfeld ist vor Kurzem verblichen, womit die Auswahl des Covers wohl zu einem großen Teil eine Huldigung an seinen Schöpfergeist und seine Arbeit ist. Und die Sonnenbrille eben sein Markenzeichen. Trotzdem. Ein bisschen trotzige Coolness ist sicherlich gewollt.

Erwartungsgemäß ist im Stil-Magazin viel zu den Themen Mode zu finden. Was mich aber positiv überrascht, sind die kreativen Bildkompositionen der Modefotos. Da wurde eine Sonnenbrille auf Croissants platziert. Schlau. Wenn ich einen Hund von etwas überzeugen möchte, lege ich das auch neben eine Wurst oder einen Knochen. Mich spricht es sofort an.

Was assoziiert man mit Biker Boots? Bestimmt irgendetwas mit Freiheit, Wild-Sein, roughness. Was macht der Fotograf? Hängt den Boot in eine Halteschlaufe einer S-Bahn, im Hintergrund noch der Plan der Haltestationen einer Shoppingmeile in Paris – sexy! Da spricht mich die Mode für den stilbewussten Mann auch glatt an. Zum Vergleich blättere ich nochmal schnell durch das Frauenmagazin: Erstaunlich wenig Schuhe. Das Männermagazin ist voll von Schuhen! Aber es ist ja nunmal auch ein Stilmagazin. Trotzdem zeigt es uns wieder: Die Vorurteile gegenüber allen Geschlechtern müssen verschwinden.

Das Männermagazin ist interessanter

Reduziert man die Hauptthemen des stilvollen Männermagazins, so kommen dabei folgende heraus: Mode, Partytipps, Netzwerken und Coaching, Drogen, Reisen, Sex. Ist das wirklich das, was euch Männer interessiert? Sex existiert in dem violett-rosa Frauenmagazin für eine wohl ältere Zielgruppe überhaupt gar nicht. Stattdessen gibt es ein Rezept, das „Mutters Kuchen“ genannt wird. Würg. Nach diesem Vergleich will ich entweder ein Mann sein oder nicht älter werden.

Im Männermagazin gibt es natürlich auch Beauty-Tipps. Auffällig aber sind die Formulierungen in den Titeln über den Beauty-Seiten. Während das Männermagazin ein selbstbewusstes „Kick-off für den Beachbody“ vom Stapel lässt, ermahnt das Mutti-Frauenmagazin „Es ist Zeit für eine Po-litur“.

Eine Kategorie interessiert mich besonders bei den Männern: Ein kurzer Artikel über Management mit dem Titel „Be a leader, not a boss“. Wow, wie dominant-intelligent. Findet man sowas auch in Frauenmagazinen? Ja, tatsächlich habe ich mal so etwas gelesen. Und zwar in der Form: „So gelingt Ihnen der perfekte Business-Look fürs Büro.“ I’m not amused. Toll, wieder reduziert aufs Äußere.

Weich geht auch

Wie ich beim ersten Blick auf das coole Cover stereotyp dachte, ist hier ein Thema wie Sensibilität wohl eher nicht zu finden. Falsch gedacht: In einem Porträt über den Schauspieler Jonah Hill („Wolf of Wall Street, „Moneyball“) wird erzählt, wie er besonders aggressive und laute Typen spielte, die mit ihrer Art ihre eigentliche Sensibiltät verstecken wollten. Und dass diese Rollen seinem wahren Charakter wohl sehr nahe kommen. Der Autor Zach Baron beendet das Hill-Porträt und den Bericht über den Kinofilm „Mid90s“ in dem Hill mitspielt, mit folgenden emotional-getränkten Worten, die ich noch in keiner Frauenzeitschrift gelesen habe: „Vor allem aber ist der Film auf der Suche nach Transzendenz: Genau so fühlt es sich an, einen Freund zu finden. Genau so fühlt es sich an, wenn dich jemand wirklich kennt“. Diese empathischen Worte hat das Cover jetzt auch nicht verraten.

Das Fazit: Diese beiden Magazine bedienen durchaus noch Klischees und Vorurteile, versuchen sie vielleicht stellenweise auszuhebeln. Es gibt aber auch noch eine ganze Reiher weiterer Magazine, die andere Zielgruppen ansprechen möchten, ohne die Geschlechteridentität übermäßig zu thematisieren oder aufgrund dessen zu differenzieren. Trotzdem – ein kritischer Blick lohnt sich.

Von Jule-Marie Schoppmeier

Jule-Marie spielte schon früher in einem Zeltlager die „Göttin of Confusion“. Verwirrt ist sie zwar nicht, aber sie hinterfragt Dinge und regt zum Nachdenken an. So lange, bis sie manchmal selbst davon Kopfschmerzen bekommt. Heute fädelt sie ihre Gedanken deshalb regelmäßig auf Spulen und webt daraus bunte Texte. Kontrolliertes Chaos ist für sie eine Lebenseinstellung. Um das in Schach zu halten, nutzt sie für ihr Privatleben am liebsten Notizbücher oder digitale Projektmanagement-Tools.

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