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Jules trip to Teneriffa: Entbehrungsreiche Anreise

Das zweite Mal bin ich alleine verreist. Nicht aus Not oder weil niemand Zeit hatte, sondern ganz bewusst. 8 Tage lang war ich in Spanien auf Teneriffa, so simpel, so banal. Es war herrlich. Weit entfernt von paradiesisch und genau deshalb berichtenswert. Ich muss immer noch lachen, während ich das hier schreibe. Doch lies einfach selbst.

„ …Ist ja nicht der erste Urlaub alleine, du bist ja in einer Stadt, das wird schon nicht langweilig werden. Zur Not knotest du jeden Tag Armbänder an irgendeinem Lava-Strand oder liest oder gehst wandern. Und essen musst du ja auch nicht immer außerhalb, falls du keinen Bock auf die Konfrontation hast.“

Zugegeben, je näher der Single-Urlaub auf Teneriffa in Puerto de la Cruz rückte, desto mehr redete ich mir ein, dass das eine richtig geile Idee war. Eine Pauschalreise auch noch, eigentlich gar nicht mein Ding und überhaupt, die zweite meines Lebens. Und dann in einem einfachen Stadthotel inmitten einer spanischen Touristenhochburg. Wie später noch deutlich werden sollte, ein comedyreifer Kontrast zu mir selbst: Geräuschempfindlich und zumindest gefühlt hochsensibel, hat ein bisschen social anxiety, ist dazu Teilzeit-Introvertierte, Naturkind, Wanderkind, Schöngeist und leider auch ein Creep-Magnet. Was ich noch alles bin, das sprengt hier den Rahmen, aber ganz sicher bin ich keine Pool- oder Partymaus, keine, die überall schlafen oder gar alles essen könnte oder gerne in Shoppingmalls oder Lavasteinläden unterwegs wäre. Beste Voraussetzungen also.

Stattdessen bekomme ich es mit der Angst zu tun, wenn auf einer vermeintlich authentischen spanischen Tapasbar „English Breakfast“ ganz oben auf der Karte steht. Und wenn dort dann noch eine Horde sonnenverbrannter Touristen sitzt, gekleidet in Neonfarben, geschmückt mit Muschelketten, Burger essend und dazu irgendein Gitarrenspieler in aufdringlicher Lautstärke den kulturellen Touch auf die Ohren schreddert, während mir ein Straßenverkäufer eine zartrosa Michael-Kors-Fake-Handtasche aufschwatzen will, möchte ich davonlaufen. Kurz: Ich war also vollkommen ungeeignet für mein Reiseziel. Oder das Ziel für mich. Aber am Ende kommt ja eigentlich immer alles ganz anders als gedacht. Im folgenden Bild seht ihr mich jedenfalls (noch) optimistisch auf Anreise.

S-Bahnstation in Hamburg. Vorfreude on fleek. Noch.

Ein Frettchen-T-Shirt auf Reisen

I was shocked! Nachdem ich es nach tagelanger Prokrastination dann doch endlich auch mal geschafft hatte, meine Sachen zu packen und sich am Reisevorabend sogar noch etwas schüchtern ein kleines Bündel Freude in meiner Bauchgegend entfaltet hatte, kam ich endlich am Flughafengate an. Warum so anstrengend innerhalb Hamburgs? Ihr malt es euch nicht aus.

Ort olfaktorischer Entfaltungen.

Sagen wir, es gab mehrere Faktoren. Einer davon: Rollkoffer. Sie sind, zugegeben, sehr praktisch, aber mir bisher irgendwie zu unsexy. Wenn die Rollen über den Bürgersteig ruppeln, schreit das schon von Weitem: Hellooo, I’m on my way to holiday. Flughafenvibes. Ich weiß auch nicht. Jedenfalls habe ich stattdessen natürlich eine viiiel coolere Outdoor-Reisetasche einer bekannten Marke in Olivgrün-Petrol, die man wahlweise auf dem Rücken oder in der Hand trägt.

Zum ersten Stressfaktor gesellte sich ein zweiter, dieses Mal olfaktorischer Natur und mitunter resultierend aus dem ersten. Kleine Sideinfo: 17 Kilogramm plus als superhippe Outdoortragetasche auf dem Rücken, dazu vorne ein etwa 5-Kilogramm-Rucksack als Handgepäck plus eine fancy Brusttasche irgendwo dazwischen könnten dich, ganz eventuell, zum Schwitzen bringen. Und das ist dann letztendlich auch nicht geiler als ein Rollkoffer. Besonderer Funfact: Wenn die Waschmaschine aus der letzten Airnbnb-Unterkunft nicht mehr so ganz das tut, was sie eigentlich tun sollte, könnten sich genau in solchen Situationen blumigst auch im frischen Shirt Düfte entfalten. Also eigentlich dann, wenn du es am wenigsten gebrauchen kannst. Wenn du frisch geduscht, einparfümiert und ready to holiday bist und am Reisetag vielen Menschen nahekommen wirst. Genau dann schlägt der Dufthammer zu.

Und ich spreche hier nicht von leichtem Schweißduft, der mich auch so nie, nie, nichtmal nach dem Sport, ereilt. Um das mal klarzustellen. Ich bin doch nicht ekelhaft. Scherz beiseite, weil das ist wirklich serious! Nein, ich spreche von einem Marder-Iltis-Frettchen-Wildschwein-nasser Hund-alle-Bakterien-kumuliert-Duft. E-k-e-l-h-a-f-t. Instant schmilzt dann all dein Selbstbewusstsein nur so dahin und du versuchst, dich ab diesem Moment einfach nur noch so wenig wie möglich zu bewegen oder Luft aufzufächern.

Liegt ja nicht an dir, rede ich mir ein. Leider wissen das ja die Menschen um dich herum nicht. In der Schlange zur Gepäckaufgabe tackere ich meine Arme also konsequent und zugegebenermaßen etwas verzweifelt roboterartig an meine Seiten, damit bloß nichtmal eine Brise dessen entweichen kann, was sich da in meinem Frettchen-T-Shirt verselbstständigt. Ich glaube, ich hatte einen Tag später noch Verspannungen davon. Definitiv lag das nicht an meiner ultracoolen 17-Kilogramm-Reisetasche auf dem Rücken und dem 5-Kilogramm-Rucksack vor der Brust plus der fancy Brusttasche. Nein, ganz sicher nicht! Kurz vor der Gepäckaufgabe also nochmal Shirt wechseln. Ich widerstand dem Drang, das Iltis-Ding einfach wegzuschmeißen.

Erste Gefahr gebannt, die zweite folgt sogleich

Am Gate ist dann alles voller Kinderwagen. Excuse me, what? Überall Babys. Ist das jetzt Trend, den Kleinen 5-Stunden-Flüge anzutun? Drei Babys zähle ich im Flugzeug in meiner direkten Nähe. Dazu direkt um mich herum eine Familie, in der jede einzelne Person, entschuldigt, maximal fettleibig ist. So sehr, dass ich meinen Sitz leider nicht für mich alleine habe. So muss sich eine Wurst im Sandwich fühlen, denke ich mir, denn gleichzeitig drückt sich von der Gangseite alle fünf Minuten wahlweise ein Bauch oder ein Hintern besagter Familie in mein Gesicht. Ich bin die letzte Person, die sich der Diskriminierung nicht bewusst ist oder dem Umstand, dass es für alle (!) Beteiligten unwürdig ist!

Aber diese Familie stand mehr, als dass sie saß. Ansonsten wäre das Unglück wohl nur halb so groß gewesen. Räusper. Ich mach‘s kurz: Ich halte es durch und fühle mich danach benutzt. Das Kreischen der Kinder ist dagegen Musik in meinen Ohren und rieselt an mir vorbei, danke noise cancelling. Kurzes Zwischenfazit: Never again.

Klo-Halluzinationen und erste Bekanntschaften

Nervlich, hunger- und blasentechnisch bereits bis zum Maximum überstrapaziert, geht es dann noch im Touri-Bus quer über die Insel nach Puerto de la Cruz. Immerhin sind Ausblick, Sitz mit viel Platz (Fußstütze!) und Klimaanlage ein wenig Balsam für meine geschundene Seele voller menschlicher Bedürfnisse.

Dass ein Proteinriegel als Süßigkeit mit Sättigungsgefühl zwar eine ganz nette Idee, im Warmen allerdings etwas sehr naiv gewesen war, ist dann wenig später eine neue Erkenntnis. Aber in der Not frisst der Teufel eben die Fliegen von der Wand. Entsprechend resigniert sauge ich den warmen, flüssigen Protein-Schoko-Matsch aus der Verpackung und muss unwillkürlich an diese furchtbaren Quetschies für Kinder denken. Erst recht, als dann noch die Hälfte daneben geht und ich natürlich kein Tuch, dafür aber Desinfektionsgel in meiner fancy Brusttasche finde – eine sich selbst potenzierende Ekel-Kombi. Währenddessen manifestiert sich in meinen wenigen noch verbliebenden optimistischen Hirnzellen immer mehr die Frage, wie viel Urlaub ich wohl brauchen werde, um mich von alldem zu erholen.

„Nur eine Toilette, oder meinetwegen einfach ein Busch, irgendein Gefäß, einfach kurz Ruhe, einen Moment für sich, vielleicht einfach hier, wenn keiner guckt …“

Meine Gedanken kreiseln in der letzten halben Stunde im Bus um keinen anderen Inhalt mehr. Ich will einfach nur noch aus dieser Folterkammer auf Rädern raus, klebe sehnsüchtig am Fenster, denke ganz viel an Wüste und stelle mir vor, an wie vielen hunderten, ja zigtausenden Toiletten wir gerade vorbeifahren müssen. Und dann kommt bereits der Gänsehautmoment kurz vor der Katastrophe.

Blasendruck-Bild aus dem Bus.

Als dann wirklich alle Menschen außer mir und einer älteren Dame bei ihren Unterkünften abgesetzt sind, rätseln wir als letzte Verbliebende mit Klo-Halluzinationen kurz vom Platzen, welche von uns beiden mit dem Busfahrer wohl alleine bleiben muss. Um uns abzulenken erzählt sie, dass ihr das Mittelmeer ja gereicht hätte, aber die Schwiegertochter strikt für den Atlantik gewesen sei. „Hat sich doch aber gelohnt, hier ist es doch auch sehr schön“, höre ich mich wie aus einem Nebel sagen und sie antwortet ohne Umschweife: „Ich hasse diese Stadt hier, viel zu viele Berge!“ Ok, cool. Hab richtig Bock.

Ich darf als nächste raus. Ich wünsche meiner Mitreisenden einen schönen, erholsamen Urlaub und vor allem ein baldiges Ende der Tortur und mache mich dann kopfschmerzig auf zur Hotelrezeption. Wenig später renne ich im Galopp die Stufen hoch ins Paradies, in die Erlösung, zu meinem Zimmer.

Where the magic happens

Ich drücke die Klinke hinunter, öffne die Tür und … Ernüchterung. Zwei fucking Einzelbetten, dazwischen ein Nachttisch mit Telefon, das Zimmer klein, dunkel, muffig und erdrückend. Ich hatte extra für ein Zimmer mit Doppelbett gezahlt. Nach meiner Erlösung versuche ich noch optimistisch, die Betten zusammenzuschieben. No chance, das Telefonkabel ist quasi unzertrennlich mit der Wand vertackert und überhaupt, was tue ich hier eigentlich. Also direkt im Galopp wieder zurück zur Rezeption. 

Normalerweise bin ich bei solchen Dingen immer zurückhaltend und viel zu verständnisvoll. Aber nach dieser Anreise gibt es dafür keine Ressource mehr. Also formuliere ich mein Anliegen direkt. No Kapas für den heißen Brei. An der Rezeption Ü50-Männer, die damit nicht rechnen, plus ein jüngerer Kellner der anliegenden Tapasbar, der mich in meiner rosa Yogaleggings erst misstrauisch mustert und, nachdem er wohl mein Selbstbewusstsein und die durch die strapaziöse Anreise bedingte aufsteigende Kampfeslust in meinen Augen wahrgenommen hat, anerkennend nickt. Wahrscheinlich wollen sie sich nicht mit der alleinreisenden aggressiven Yoga-Esoteriktante in Rosa anlegen, die ist irgendwie gruselig.

Der neue Schlüssel fühlt sich wie eine kleine Eroberung an und siehe da: Das Zimmer ist deutlich heller, etwas luftiger und mittendrin immerhin ein Doppelbett unter geblümter altspanischer Oma-Überdecke. Das wäre also geschafft. Dass ich im anderen frischen Zimmer kurz auf Toilette war, wird schon keiner bemerken, denke ich mir. Vorausgesetzt, die Person achtet nicht auf vorgefaltetes Toilettenpapier. Upsi. Ich nehme mir jetzt vor, öfter mal keine Kapazitäten für den heißen Brei zu haben. Zu diesem Zeitpunkt bin ich schon 12 Stunden auf den Beinen. Das muss zukünftig einfacher gehen.

Wahnsinn ist nah dran am Genie

Beflügelt von meinem Sieg gehe ich ohne große Umwege direkt in die Stadt, die praktischerweise genau vor der Hoteltür beginnt. Auf dem Weg fragt mich noch einer der Ü50-Männer, ob nun alles zu meiner Zufriedenheit sei und ich lächle selbstbewusst und antworte völlig übergeschnappt „Siii, muchas gracias!“ Das muss der Flow-Moment sein, von dem alle sprechen.

Ich fühle mich dabei aber auch ein bisschen wie Mr. Bean auf Reisen. Hoffentlich streue ich keine französischen oder gar dänische Wörter ein. Dann haben wirklich alle Angst vor mir. 

Und so stratze ich durch die Stadt. In Leggings, Spaghettitop und Sneakern so gar nicht angezogen wie eine Urlauberin im Süden und werde dadurch auch von niemandem angequatscht, obwohl es nur so vor Straßenverkäufern wimmelt. Ich werde kurz gescannt und dann wird sich offenbar entschieden: Ne, die sieht irgendwie anders aus und zack, bin ich vorbei.

Eine der entspannteren, ruhigeren Gassen in Puerto de la Cruz.

Zum ersten Mal in diesem Urlaub und überhaupt seit langem wieder spüre ich ein Gefühl von Freiheit und fühle mich wie in einem Sims-Spiel. Ich kann hier alles tun und lassen, was ich will. Bin von niemandem abhängig, muss keine Rolle erfüllen und mir ist egal, wer mich mag oder wer mich komisch findet. Das Gefühl verstärkt sich umso mehr, als ich mich schließlich in einen Stuhl eines schönen Restaurants fallen lasse und auf Spanisch bedient werde. Erst, nachdem ich bedeute, dass ich nicht alles verstehe, kommt die Frage nach der Nationalität. Die Tatsache, dass ich nicht direkt als Deutsche „entlarvt“ werde, entlässt mich für einen kurzen Moment von meiner eigentlichen Identität und damit verbundenen Vorurteilen, die ich mir irgendwie auch selbst auferlege. Das Servicepersonal ist auf Zack und nimmt meine drei spanischen Wörter gerne an und ergänzt sie ohne Wertung gerne mit ein paar weiteren. So wird aus meinem ersten Restaurantbesuch nicht nur ein Energietanken und Hungerstillen, sondern auch gleich ein kleiner, authentischer Sprachkurs.

Das i-Tüpfelchen ist dann eine kleine Zweimann-Band, Ü60 mit Gitarre, die ihre Evergreens mit zwei Stimmen ziemlich gut beherrscht und ich schmeiße natürlich begeistert etwas in den Hut. In den darauffolgenden Tagen treffe ich die zwei allerdings fast täglich und stelle fest, dass das Repertoire damit dann auch schon ausgereizt ist. Die drei Cerveza auf nüchternem Magen geben mir dann erst recht ein Hochgefühl und ich bin der Meinung, ich könnte jetzt die Welt oder zumindest die nächste Bar erobern.

Aufgrund anhaltender Kopfschmerzen und sehr schweren Augen entscheide ich mich dann aber doch für eine Dusche und eine kalte Selter im Bett, stelle noch resigniert fest, dass das Internet in meinem Zimmer nicht geht und falle dann ziemlich schnell in einen unruhigen Schlaf, der stellenweise von heulenden Müllauto-Motoren in der Nacht gestört wird. Das ist nach dem Tag aber irgendwie auch egal.

Ich habe das Bild unter „Im Arsch“ abgespeichert.

Follow-Up: Hier werden bald weitere Teile zu meinem Single-Teneriffa-Urlaub folgen. Wenn dir dieser Bericht gefallen hat und du es bis hierhin geschafft hast, dann freu ich mich natürlich über Feedback jeglicher Form. Wenn du es kacke fandst, dann ist das auch okay, ich habe mich selbst nämlich beim Schreiben totgelacht.

Von Jule-Marie Schoppmeier

Jule-Marie spielte schon früher in einem Zeltlager die „Göttin of Confusion“. Verwirrt ist sie zwar nicht, aber sie hinterfragt Dinge und regt zum Nachdenken an. So lange, bis sie manchmal selbst davon Kopfschmerzen bekommt. Heute fädelt sie ihre Gedanken deshalb regelmäßig auf Spulen und webt daraus bunte Texte. Kontrolliertes Chaos ist für sie eine Lebenseinstellung. Um das in Schach zu halten, nutzt sie für ihr Privatleben am liebsten Notizbücher oder digitale Projektmanagement-Tools.

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